Auftakt ins Jubiläumsjahr mit Eröffnung der Wanderausstellung „Arzt und Patient im Nationalsozialismus“

Ausstellung ist noch bis zum 28. Februar 2025 in Stuttgart zu sehen

Im Foyer der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg wurde am 5. Februar 2025 die Wanderausstellung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“ eröffnet. Die Schau über die Rolle der Ärzteschaft während der NS-Zeit ist bis Ende Februar zu sehen und bildet den Auftakt für das Jubiläumsjahr der KVBW.

Die KVBW begeht dieses Jahr ein Doppeljubiläum: Vor 80 Jahren, 1945, fand die Gründungsversammlung für eine „Kassenärztliche Vereinigung Württemberg“ in Stuttgart statt, der Vorgängerorganisation der KV Nordwürttemberg. Vor 20 Jahren, 2005, wurde die KV Nordwürttemberg mit der KV Südwürttemberg sowie den KVen Nord- und Südbaden zur Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) zusammengeschlossen.

„Wenn wir auf die Entwicklung des KV-Systems und der gemeinsamen Selbst­verwaltung nach dem Krieg schauen, müssen wir auch den Abgrund in den Blick nehmen, aus dem unsere Standesorganisationen wieder herausfinden mussten“, betonte KVBW-Vorstandsvorsitzender Dr. Karsten Braun bei der Eröffnungs­veranstaltung mit rund 100 geladenen Gästen, darunter auch Prof. Barbara Traub als Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg. Die Schau zeige, wie tief die Ärzteschaft in die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus verstrickt war und beleuchte, wie sich die Medizin in den Dienst eines verbrecherischen Systems gestellt habe. „Die Ärzteschaft war nicht einfach nur Mitläufer, sondern machte sich zum willigen Vollstrecker der nationalsozialistischen Rassenhygiene und Eugenik“, verdeutlichte Braun.

Im Namen der sogenannten Rassenhygiene war die Ärzteschaft mitverantwortlich dafür, Menschen in „wertes“ und „unwertes“ Leben einzuteilen – und damit in den sicheren Tod zu schicken. Jüdische Ärztinnen und Ärzte wurden verdrängt, vertrieben oder zunächst zu „Krankenbehandlern“ degradiert, sodass sie ausschließlich jüdische Patienten versorgen durften. Voraussetzung für zahlreiche NS-Medizinverbrechen war außerdem die Einschränkung der ärztlichen Schweigepflicht, die gebrochen werden durfte, wenn das „gesunde Volksempfinden“ ihr entgegenstand. Die Ausstellung zeigt anhand von Fallbeispielen und Einzelschicksalen aus ganz Deutschland, wie sich diese Zeit im Leben von Ärzten und Patienten auswirkte. Stuttgart ist nach Berlin die erste Station auf dem Weg der Ausstellung durch die KVen in Deutschland. Der Kurator der Ausstellung, der Historiker Sjoma Liederwald, erläuterte das Konzept und die Entstehung dieser Präsentation.

Wie sich der Nationalsozialismus in Württemberg und Baden in der Ärzteschaft auswirkte, stellte der Historiker Dr. Aaron Pfaff dar, der mit Unterstützung der Landesärztekammer über die Zeit von 1920 bis 1960 jahrelang geforscht hatte. Für seine Arbeit wurde er 2023 mit dem Herbert-Lewin-Preis ausgezeichnet. Bei den Themen Rassenhygiene und Eugenik habe sich die württembergische Ärzteschaft im negativen Sinne besonders hervorgetan. So verabschiedete die Delegierten­versammlung der Ärztekammer einen Beschluss, der die württembergische Staatsregierung aufforderte, Zwangsterilisationen einzuführen. Anzeichen eines erkennbaren Widerstandes innerhalb der Ärzteschaft in Württemberg und Baden konnte Pfaff in seinen Forschungen nicht finden. „Zu viele Ärzte ordneten sich bereitwillig unter“, so seine nüchterne Bilanz. Dieses Verhalten sei zudem durch die Gewährung von Privilegien, wie auch verbesserten wirtschaftlichen Perspektiven, durch die Nazis gefördert worden. Pfaff warnte, dass Radikalisierungen und enthemmte Verbrechen schleichende Prozesse seien, die sich über mehrere Jahre entwickeln können. „Am Ende wurde ein millionenfacher Mord erst dadurch ermöglicht, dass zu viele Menschen ihre Vorteile aus dem System ziehen konnten oder zumindest stumm blieben.“

KVBW-Vorstandsvorsitzender Dr. Braun legte in seiner Rede Wert darauf, „dass der Blick zurück keine pauschale Verurteilung aller damals tätigen Ärztinnen und Ärzte ist: Auch in diesen schweren Zeiten gab es Ärztinnen und Ärzte, die medizinisch und menschlich Herausragendes leisteten.“ Die Ausstellung sei als Erinnerung zu verstehen, dass es Aufgabe des Berufsstandes wie der Gesellschaft sei, die „Erinnerung wachzuhalten, Lehren zu ziehen und mit aller Kraft zu verhindern, dass sich derartiges wiederholt“. Für Braun ist „die Bedeutung der gemeinsamen Selbstverwaltung dabei nicht hoch genug einzuschätzen. Die ärztliche Selbst­verwaltung schützt nicht nur vor politischer Einflussnahme, sondern sie verpflichtet uns auch, ethische Prinzipien zu wahren und uns jeder Ideologie entgegenzustellen, die Menschen nach ihrem vermeintlichen `Wert‘“ misst“.

Die Ausstellung ist bis einschließlich 28. Februar 2025 im Foyer der Kassen­ärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Albstadtweg 11, Stuttgart, zu sehen und steht allen interessierten Personen, auch Schulklassen, offen. Sie kann von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr besichtigt werden. Gruppen sind vorher unter der Rufnummer 0711 7875-0 anzumelden. Der Eintritt ist frei.