Zu viele Ärzte in Baden-Württemberg?

Kassenärzte befürchten drastische Verschlechterungen der heute schon problematischen Versorgungsituation im Land

Mit tiefer Sorge betrachtet der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) die Pläne der Bundesregierung, dass in Baden-Württemberg zukünftig über 2.000 Ärzte und Psychotherapeuten weniger als heute tätig sein sollen.

„Die Situation ist völlig grotesk und nicht mehr nachvollziehbar“, sagte der Vorstandsvorsitzende der KVBW, Dr. med. Norbert Metke, am Dienstag in Stuttgart. „Auf der einen Seite klagen die Patienten über zu lange Wartezeiten auf einen Termin und Gemeinden über fehlende Ärzte und mangelnden Nachwuchs. Auf der anderen Seite müssen wir ihnen mitteilen, dass wir gemäß der Definition der Bundesregierung zu viele Ärzte haben. Und die Bundesregierung andenkt, dass Praxen in überversorgten Bereichen geschlossen werden müssen, also, nicht mehr an Nachfolger übergeben werden können. Davon wären nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf landesweit rund 1.600 Facharztpraxen, 900 Praxen von Psychotherapeuten und knapp 230 Hausarztpraxen betroffen - obwohl diese häufig in ländlichen Regionen liegen und insgesamt über 12 Millionen Behandlungen pro Jahr durchführen. Aber auch in den Ballungsräumen dürfen die Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Denn die Praxen im angeblich überversorgten Stuttgart versorgen noch ca. 230.000 Pendler jeden Tag und viele Patientinnen und Patienten aus den umliegenden Landkreisen.“

Wartezimmer sind heute schon voll

Sein Vorstandkollege, Dr. med. Johannes Fechner, verwehrt sich gegen den Vorwurf der "Panikmache", der seitens der Politik erhoben wird. Fechner sagte: „Im Gesetzentwurf wird unmissverständlich klar: Es soll weniger Ärzte im Land geben. Arztsitze, die frei werden, sollen nicht nachbesetzt werden. Die Folge ist, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Patienten sich einen Arzt an einem anderen Ort suchen müssen. Da heute in den Praxen die Wartezimmer schon voll sind, werden die Ärzte noch weniger Zeit für ihre Patienten haben.“

Für Fechner ist dies völlig realitätsfern. „Wenn wir Nachbesetzung verhindern, nehmen wir eine Verschlechterung der schon heute problematischen Versorgung ganz bewusst in Kauf. Den 1.600 abzubauenden fachärztlichen Praxissitzen stehen 100 offene Sitze gegenüber. Ein Verlust an fachärztlicher Versorgung wird also willentlich in Kauf genommen. Schon heute sind 300 hausärztliche Praxen nicht besetzt, in fünf Jahren werden es fast 800 sein. Dazu noch einmal über 200 Praxen abzubauen, ist eine Sünde am Patienten. Ärzte und Patienten sind keine Schachfiguren, die willkürlich hin- und hergeschoben werden können.“

6000 Arbeitsplätze bedroht

Fechner erinnerte daran, dass die Schließung von Praxen auch eine wirtschaftliche Komponente hat. „Jede Praxis ist ein kleines Unternehmen mit Mitarbeiterinnen. Wer über 2.000 Praxen schließt, vernichtet darüber hinaus 6.000 Arbeitsplätze von Helferinnen. Er muss wissen, was er tut.“ Weiter warnte der KV-Vize vor den Auswirkungen auf die jungen Medizinerinnen und Mediziner. „Ein junger Arzt wird sich zweimal überlegen, ob er noch Geld in eine Praxis investiert, wenn es von der jeweils aktuellen politischen Stimmungslage abhängt, ob er beim Ausscheiden z. B, wegen Krankheit oder Rente seine Praxis einem Nachfolger übergeben darf oder seine Investition und Arbeit sinnlos war.“ Fechner abschließend: „Endgültig skurril werden die Pläne, wenn von der Politik darüber hinaus kürzere Wartezeiten fordert werden - mit weniger Ärzten!“

Metke erläuterte, dass die KVBW alle Bundestagsabgeordneten der Koalition aus Baden-Württemberg angeschrieben hat und sie auf die Auswirkungen der vorgesehenen Gesetzgebung speziell für ihren Wahlkreis hingewiesen hat: „Letztlich ist es eine gesetzliche Regelung, die dann zustande kommt, wenn sie eine Mehrheit im Bundestag findet. Wir möchten, dass jedem die Konsequenzen - auch vor seiner Haustür - von vornherein klar sind.“